Es sei gerade der (mindestens) dritte Tag in Folge, an dem Fahrgäste nach Frankfurt am Bahnhof Reinheim per Anzeige und Durchsage zu Gleis 2 geschickt wurden. Der Zug sei dann wie immer aber planmäßig auf Gleis 1 gekommen. Wenn der Zug in den Bahnhof fahre, sei die Schranke als einziger Übergang bereits seit 2 Minuten geschlossen. Dann starte die für Reinheim typische Gleiswanderung, so berichtet die Klimaliste Darmstadt Dieburg von der Situation. Auf Anfrage bestätigte die Bahn gegenüber dem Echo, dass es aufgrund eines Systemfehlers vom 15. bis zum 18. Juni zu falschen Anzeigen und Durchsagen am Bahnhof Reinheim gekommen sei. Die Störung sei inzwischen behoben.
Die Falschdurchsagen haben nur zu einem bemerkenswerten Höhepunkt von Gleisquerungen geführt, die Situation in Reinheim treibt schon seit Jahren Menschen dazu an, über die Gleise zu laufen, weil man nur so zum Zug kommt
, kommentiert Mitja Stachowiak von der Klimaliste die Lage. Die Lockführer der VIAS seien das inzwischen gewohnt und achten auf Gleisquerende. Das Risiko sei wohl überschaubar, aber die Situation führe regelmäßig zu lästigen Auseinandersetzungen mit dem Personal und die Fahrgäste riskieren eine Anzeige wegen Störung des Bahnbetriebs.
Morgens seien zum Teil auch Schulkinder darauf angewiesen, über die Gleise zu laufen, um den Zug zur Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule in Ober-Ramstadt zu bekommen. Der Bahnübergang als einziger (legaler) Weg schließe mehr als 2 Minuten, bevor der Zug komme. Treffen sich zwei Züge, könne der Übergang für mehr als 4 Minuten geschlossen bleiben. Wer 4 Minuten vor Abfahrt also mehr als pünktlich am Bahnhof sei und dann nicht über die Gleise laufe, könne also trotzdem den Zug verpassen. Darauf, dass die Schranke nochmals auf gehe, bevor der Zug abfahre, könne man sich nicht verlassen.
Gerade wenn Züge aus beiden Richtungen kommen und die Menschen, weil es verboten ist, unkoordiniert über die Gleise huschen, kann es auch mal gefährlich werden. Und für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist das Wechseln sowieso nicht zumutbar, teils auch dann nicht, wenn der recht weit entferne Bahnübergang nochmal kurz öffnet, so Stachowiak weiter.
Ein niveaugleicher, unbeschrankter Bahnsteigübergang so wie am Nachbarbahnhof in Ober-Ramstadt sei in Reinheim unzulässig, da hier beide Gleise gequert würden und das eben ein Übergang und kein Bahnsteigzugang wäre. Als Lösung bleibe also nur eine Brücke oder Unterführung. Mitglieder der Klimaliste in Reinheim fordern das schon seit 2015. Bis 2021 seien in zwei Aktionen die beiden Gleise im Bahnhof Grundsaniert und dafür zeitweise komplett ausgebaut worden, wie auch die Bahn bestätigte. Bei dieser Gelegenheit hätte man eine Unterführung kostengünstig in offener Bauweise einbauen können, meint die Klimaliste. Diese Gelegenheit sei natürlich nicht ergriffen worden.
Ein Vorschlag zur Verbesserung der Lage, der auch im Reinheimer Stadtparlament diskutiert worden sei, sei eine richtungsgebundene Gleisbelegung, also dass alle Züge Richtung Darmstadt/Frankfurt auf Gleis 1 führen und alle Züge Richtung Odenwald auf Gleis 2. Dies würde das Problem lösen, dass bei außerplanmäßigen Zugbegegnungen in Reinheim Fahrgäste spontan und erst nachdem der Bahnübergang geschlossen sei, zum anderen Gleis geschickt werden. Die Bahn lasse so viele Züge wie möglich auf Gleis 1 fahren, da ein größerer Teil der Fahrgäste dort in die Busse an der Haltestelle in der Bahnhofstraße umsteige. Wenn ein Bus mal knapp vor dem Zug ankomme und man zu Gleis 2 müsse, würde auch das sicher Menschen über die Gleise locken.
Kein Verständnis habe die Klimaliste für den 2017 gebauten Zaun zwischen Bahnsteig und Bushaltestelle, mit dem man den umständlich erkauften, schnellen Umstieg von Gleis 1 wieder absichtlich erschwere. Für Umsteigende aus dem ersten Zugteil führe der direkte und kürzeste Weg zur Haltestelle über einen 14 Meter breiten Grünstreifen, den man im Gegensatz um Gleisbett selbstverständlich auch betreten dürfe. Jedoch lies der Magistrat der Stadt Reinheim hier unter Kostenbeteiligung der Bahn einen Zaun errichten. Damit verlängere sich der Umstieg um bis zu 100 Meter.
Ehrenamtlichen Politikern, die die Info über die Errichtung des Zaunes für über 1100€
Zum gleichen Preis hätte man auch ein paar Gehwegplatten legen und einen richtigen Bahnsteigzugang an der passenden Stelle bauen können
, kritisiert Stachowiak seine Heimatstadt. Die Klimaliste habe inzwischen ein paar fachkundige Handwerker und Freiwillige zusammengetrommelt und angeboten, einen Fußweg auf eigene Kosten anzulegen. Einen weiteren Bahnsteigzugang habe die Bahn jedoch abgelehnt, da drei Zugänge ausreichend seien.
Dieses Beispiel Fußweg zeigt, dass die üblichen Verweise auf zu hohe Kosten für eine Brücke oder Unterführung nur Ausreden sind. Die Verantwortlichen Handeln selbst dann nicht, wenn man eine Verbesserung komplett kostenlos bekommen kann. Alle schauen nur, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich die gesetzlichen Auflagen eingehalten werden, niemand hinterfragt, ob der Bahnhof Reinheim in dieser Form ein sinnvolles Gesamtkonzept darstellt
, fasst Stachowiak zusammen. Die Klimaliste bleibe aber dran: In den nächsten Jahren solle in Reinheim der obere Teil der Darmstädter Straße umgestaltet werden, bis einschließlich zum Bahnübergang. Dies sei eine Gelegenheit, auch über eine Umgestaltung des Bahnhofs nachzudenken. Auch plane die Bahn eine Verlängerung der Bahnsteige entlang der Odenwaldbahn, wofür auch Signale versetzt werden müssen. Wenn dies zu einer längeren Streckensperrung führe, könne man bei dieser Gelegenheit auch eine Unterführung bauen, hofft die Klimaliste.
Wir glauben, dass man die Baukosten auch über eine Spendenaktion zusammen bekommen kann
, meint Stachowiak und verweist auf den Versuch von 2022, eine Genossenschaft zu gründen um das Bahnhofsgebäude in Reinheim zu pachten, zu renovieren und an lokale Geschäfte weiter zu vermieten